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Die Zukunft ist immer anders

IMit vielen Augen sehen

 

„Die Zukunft ist immer anders“ – so haben wir die Spielzeit 2024/25 überschrieben. Wir haben dabei an den Mut gedacht, den es braucht, auch angesichts verunsichernder Zeiten und schwieriger Rahmenbedingungen, angesichts von ganz persönlichen, regionalen wie globalen Zukunftssorgen, Veränderung zu gestalten, Neues zu wagen und auszuprobieren, über sich selbst nachzudenken und (selbst-) kritisch zu bleiben. Und mit Zuversicht und Energie zu handeln.

 Jetzt, an der Schwelle zur neuen Spielzeit, blicken wir für einen Moment zurück: Manches ist so gekommen, wie wir es uns erhofft hatten. Das Eröffnungsfestival „Zusammen“ etwa, bei dem weit mehr als 2.000 Menschen unser Haus besucht und am Theaterleben teilgenommen haben. Wie schön war es, als plötzlich im Foyer Passant:innen Tango tanzten, als ein türkischer Frauenchor auf unsere Bühne Volkslieder sang, als Schülerinnen und Schüler „ihre“ Ausstellung eröffneten oder als im Bühnenbild der Produktion „Grand Hotel“ über 100 Menschen den Swing feierten.

 Manches hat sich aber auch anders entwickelt, als wir es uns gewünscht hätten. Einige Herausforderungen bleiben und wir suchen weiter nach den richtigen Antworten. Dass Abo-Konzerte etwa nicht nur für Abonnent:innen sind, das hätten wir besser erklären müssen. Und so gehen wir in die neue Spielzeit in dem Wissen, dass das Motto der letzten nach wie vor gilt, in stärkerem Maße noch als bisher vielleicht. Auch in diesem Heft stecken also einige Veränderungen, Neuerungen, Ideen, die wir voller Zuversicht ausprobieren wollen.

 Stärker, schmerzhafter noch als vor einem Jahr spüren wir, dass die Zukunft zwar gestaltbar aber doch auch zunehmend bedrängend und verunsichernd ist. Immer deutlicher wird, wie sehr die uns scheinbar so vertrauten Begriffe wie Freiheit und Demokratie, Respekt und Offenheit, Vielfalt und Toleranz in Frage gestellt werden. In gleichem Maße wird uns aber auch bewusst, wie wertvoll Orte wie das Theater sind: Orte der Begegnung und des Austauschs. Orte, an denen wir miteinander lernen und immer wieder üben dürfen, die Welt nicht nur mit unseren eigenen Augen, sondern mit vielen Augen zu sehen. Orte, an denen wir voneinander lernen und erfahren können, dass andere Sichtweisen die gleiche Berechtigung haben wie die eigenen, dass Verständigung und Gemeinschaft damit beginnen, dass wir einander zuhören. 

Friedrich von Mansberg - Intendant Theater Lüneburg

Bei einer internen Diskussion im Theater hat jemand formuliert: „Unsere Kunst ist leicht und hat einen ernsten Hintergrund.“ So wollen wir diese neue Spielzeit angehen. Wir wollen mit unserer Kunst und all den Aktivitäten, Initiativen und neuen Ideen Barrieren und Hürden abbauen. Wir möchten möglichst viele Menschen dazu einladen, sich mit uns und den wunderbaren Welten, die Theater eröffnen kann, auseinanderzusetzen. Genießen Sie Ihre Zeit mit uns, lachen Sie, weinen Sie auch, und dann kommen Sie im besten Falle miteinander und mit uns ins Gespräch.

Theater ist auch deshalb „leicht“, weil es flüchtig ist. In einem Moment da, groß, schön oder schrecklich, berührend und unterhaltend, vielleicht manchmal langweilig oder verstörend – in jedem Falle aber im nächsten Moment verschwunden. Theater ist eine Sache des Augenblicks. Und das ist Chance und Herausforderung zu gleich. Denn diese flüchtigen Theater-Momente haben stets einen ernsten Hintergrund. Theater wie wir es kennen, ist nicht nur ein wichtiger Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft, Theater wäre ohne eine solche demokratische Gesellschaft in seinem Kern bedroht.  Was uns ausmacht, was die Grundlage unserer Arbeit ist, das geht in einer Gesellschaft verloren, in der Vielfalt als Bedrohung, Empathie als Schwäche und Perspektivübernahme als überflüssig gilt. In der zwischen „wir“ und „die“ unterschieden wird, in der Respekt verloren geht und das Recht des Stärkeren propagiert wird.

Wir wollen diese Begriffe ja immer wieder selbst befragen: Freiheit und Demokratie, Respekt und Offenheit, Vielfalt und Toleranz. Aber mit unserer Arbeit wollen und müssen wir uns bei allen Zweifeln für genau diese Werte einsetzen, sie in unserer Arbeit leben, immer wieder neu. Deshalb erzählen wir die Geschichte von jungen Menschen im New York der 1990er Jahre, ihrer Angst vor AIDS und ihren Versuchen, ein eigenes, buntes Leben zu leben, trotz allem. Deshalb erzählen wir die Geschichte einer jungen jüdischen Musikerin in Amsterdam, die der grauenvollen Geschichte der Wohnung, in der sie lebt, auf den Grund zu gehen versucht. Deshalb erzählen wir die Geschichte einer Liebe, die alles überwinden kann, auch einen tiefen totähnlichen Schlaf. Deshalb erzählen wir die Geschichte einer Sängerin, die versucht, ihre Kunst zu bewahren angesichts eines totalitären Machtapparats, der sie zu vereinnahmen sucht.

Deshalb machen wir Theater – verstehen Sie dieses Heft also als Einladung, in der kommenden Spielzeit gemeinsam mit uns Theater in all seiner unverzichtbaren Schönheit zu leben.

Friedrich von Mansberg
Intendant